Mit Thomas Biasotto, Fotograf, Buchautor, Schulungsleiter und Druckspezialist sprachen wir über die neue Phase One XC. Die Kamera ist für Puristen konzipiert und verfügt über ein eingebautes Rodenstock HR Digaron-S 23mm f5,6. Das wechselbare Digitalrückteil der XC, das Digitalback IQ4 von Phase One mit 150 Megapixel Auflösung, bietet auch das einzigartige Frame Averaging* für sonst unerreichbare Dynamik. Mittels Frame Averaging gelingen Thomas Biasotto mit der XC und auch mit seinen anderen Kameras von Phase One, beispielsweise der verstellbaren XT, Fotos mit einem einzigartigen Dynamikumfang größer 15 Blendenstufen.
? Mit 1820 Gramm ist die Phase One XC durchaus ein gewichtiges Modell, bei dem auch das Objektiv nicht wechselbar ist. Was begeistert Dich so an der Kamera?
BIASOTTO: Wer seinem Assistenten sagen kann, stell mir die Ausrüstung für diese und jene Kamera zusammen, findet das „Alles in einer Kamera“ vielleicht nicht so wichtig. Für mich bedeutet mit der XC zum Fotografieren zu gehen nur eine einzige Entscheidung: Die XC in die Fototasche packen und ich habe alles, wirklich alles! Mit der XC zu fotografieren, ist technisch eine Beschränkung auf eine Optik. Zudem gibt es weder Handgriffe noch Aufstecksucher wie bei anderen Systemen, die man im Zweifelsfall vergessen hat. Die XC ist für mich ein Werkzeug, das mir einerseits höchstmögliche Qualität bietet und mir andererseits volle Konzentration auf das Motiv verschafft, da alle Optionen auf das Allernotwendigste eingeschränkt sind. Phase One adressiert mit der XC auch einen bestimmten Typus von Fotografen. Menschen, die verstanden haben, dass Reduktion eine kreative Herausforderung ist. „Zoom by feed“ ist ein Schlagwort, ein anderes ist „alle Konzentration auf das Motiv“ und dazu gehört nun einmal eine gewisse Auseinandersetzung mit dem Motiv und nicht mit der Kamera. Die sollte grundsätzlich intuitiv bedient werden können.
? Bei der gigantischen Auflösung von 150 Megapixel oder 14.204 x 10.652 Bildpunkten ist es sicherlich auch ein Stilmittel, den Ausschnitt nachträglich zu wählen. Wie sind Deine Erfahrungen damit?
BIASOTTO: Ich persönlich bin kein Freund des Croppens. Ein Ausschnitt ist für mich stets nur die zweitbeste Lösung. Besser ist es, die Gegebenheiten zu akzeptieren und die Bildidee möglichst schon bei der Aufnahme perfekt umzusetzen. Das erfordert mehr Beinarbeit, keine Frage. Wer die kreative Herausforderung der Beschränkung als Chance sieht, wächst daran, das kann ich nur nochmals betonen. Konzentrieren wir uns jedoch darauf, in der Bildbearbeitung schließlich noch zu croppen, schließen wir viel häufiger Kompromisse. Letztlich gestehe ich als Fotograf damit schon bei der Aufnahme, dass ich von dem Bild nicht überzeugt bin – dann könnte ich es gleich lassen.
? Was ist das wichtigste Argument für Dich, mit der XC zu arbeiten? Schließlich ist für jemand wie Dich, der beinahe täglich intensiv in den Schweizer Bergen fotografiert, die Beschränkung auf eine Optik wirklich eine enorme Limitierung.
XC mit Frame Averaging und mehr als 20 Blenden Dynamikumfang
BIASOTTO: Die wirklich einzigartige Kombination aus Handlichkeit und technischer Einzigartigkeit ist bei der XC für mich stets eine große Verlockung, mich mit der XC als einziger Kamera in die Berge zu begeben. Das Rodenstock HR Digaron-S 23mm f5,6 ist bezüglich Bildschärfe und Auflösung einzigartig, die Haptik beim Druck auf den blau umrandeten Auslöser löst jedes Mal von Neuem ein tolles Gefühl aus. Nicht zu vergessen die technisch wirklich einzigartigen Möglichkeiten des IQ4-Rückteils. Einerseits ist da die gigantische Auflösung, noch wichtiger sind jedoch die Dynamik und die Gestaltungsmöglichkeiten, die das Frame Averaging des IQ4 bietet. Das kann keine andere Kamera. Erst dieser Tage erlebte ich das Staunen eines australischen Leica-Ambassador, dem ich Frame Averaging erklärte. Er war vollkommen aus dem Häuschen, rief in seiner Euphorie gleich in Wetzlar seinen Ansprechpartner an und erklärte ihm, dass er eine solche Technik in seiner Kamera stark vermisse.
? Zwar hat FineArtPrinter bereits ausführlich über FrameAveraging berichtet, dennoch ist es sinnvoll, dass Du kurz den Vorteil dieser einzigartigen Belichtungstechnik erläuterst.
Digitalback IQ4 bietet Rechenleistung wie ein Computer
BIASOTTO: Das IQ4 ist von der Rechenleistung her mit jedem Grafikcomputer vergleichbar. Um also Frame Averaging zu nutzen, steht die Kamera auf dem Stativ und über das Display kann ich eingeben, wie viele Einzelaufnahmen in welchem Zeitraum mit welchen Vorgaben erstellt werden. Diese bis zu 1000 Einzelaufnahmen mit Über- und Unterbelichtungen werden im digitalen Rückteil miteinander verrechnet, um den Dynamikumfang auf beispielsweise atemberaubende 20 bis 25 Lichtwerte zu bringen. Normalerweise sind heute mit einer Aufnahme Dynamikumfänge von 14 Lichtwerten machbar. Eine solche durch Frame Averaging erstellte Langzeitbelichtung ist in der Architekturfotografie, in der Landschaftsfotografie und bei Spezialanwendungen geeignet, Tiefen und Lichter in einer Aufnahme zu vereinen, wie wir es bisher nicht aus der Fotografie kennen. Kombiniere ich zeitaufwendig meine 20 bis 30 Belichtungen am Rechner, kann ich Derartiges auch erzielen, verbringe jedoch einige Zeit am Rechner und habe erst dann eine Kontrolle über das Endergebnis. Im IQ4-Digitalrückteil werden diese Operationen bereits während der Aufnahme verrechnet und ich sehe schon Minuten nach der Aufnahme, ob das Bild meinen Vorstellungen entspricht. Einfaches Beispiel: Aufnahme eines öffentlichen Gebäudes, bei dem ständig Passanten durchs Bild laufen, was ich auch nicht verhindern kann. Belichtungszeit 25 Minuten. Wie bei einer ND-Filter-Aufnahme sind die Passanten, die durch das Bild liefen, nicht sichtbar, die Dynamik der Aufnahme ist überragend und die Auflösung ohnehin. Oder in einer Felsschlucht, einer Klamm. Das von oben kommende Licht modelliert eine Wand mit ausreichend Licht, die andere Seite der Schlucht liegt im Schatten. Mit Frame Averaging kann ich die Belichtung so steuern, dass die Schatten fein durchgezeichnet sind und auch auf der hellen Seite keinerlei Überbelichtung auftritt.
? Wie lässt sich Frame Averaging speziell bei Deiner Bergfotografie einsetzen?
BIASOTTO: Wollte ich früher eine Langzeitbelichtung machen, um die Wolken über den Gipfel zu verwischen, stelle ich heute am IQ4 ein, wie viele Aufnahmen über welchen Zeitraum ich möchte, und löse dann die auf dem Stativ stehende Kamera aus. Beispiel: Ich möchte über den Zeitraum von 180 Sekunden alle 3 Sekunden eine Aufnahme belichten, damit der sonst mit dem Filter erzielte Effekt der sich verwischenden Wolken sichtbar wird. Das IQ4 arbeitet 180 Sekunden, löst 60-mal aus und errechnet mir innerhalb kürzester Zeit das finale Bild mit dem Effekt, dass ich auch den Dynamikumfang erweitern konnte. Falls beispielsweise im Vordergrund dunkles Gestein ins Bild ragt, hat dieses fein abgestufte Schwärzen und meine Wolken sind in hellem Grau mit Wischeffekt abgebildet.
"Der verkaufte Print ist das finale Ergebnis meiner Fotografie"
? Was ist der Hauptanwendungszweck Deiner Phase-One-Aufnahmen?
BIASOTTO: Ich bin auf Prints spezialisiert. Zu mir kommen Schweizer Hoteliers oder andere Unternehmensinhaber und wählen aus meinem Archiv Motive von Bergen aus ihrer Region aus. In meinem Appenzeller Atelier kann ich interessierten Gästen die Wirkung in verschiedenen Rahmen und bei verschiedenen Lichtsituationen zeigen und selbstverständlich auch die unterschiedlichen Medien, auf denen wir drucken. Nach Bestellung werden die großformatigen Bilder in meinem Appenzeller Atelier gedruckt, kaschiert und laminiert. Das Laminat ist für die Präsentation in den Hotels leider Pflicht, obwohl ich privat meine Bilder nie laminiere. Wir bieten unseren Kunden Bildformate bis 110 x 200 cm. Selbstverständlich verwende ich meine Fotos auch für meine Bücher über die Schweizer Berge. Im September erscheint mein nächstes Buch über das Berner Oberland. Da ich den INK-Konzept- und Kulturraum Appenzell in der ehemaligen Druckerei des Appenzeller Volksfreundes eingerichtet habe, gibt es dort auch eine Galerie, in der auf 300 Quadratmetern Bilder aus meiner Fertigung ausgestellt werden.
? Wirkt es nicht etwas anachronistisch, sich über Fotografie und Druck zu unterhalten, während aktuell Milliarden an Investitionen in die Ausbreitung von Künstlicher Intelligenz (KI) gesteckt werden?
BIASOTTO: Das ist heute schon für viele Menschen befremdlich, was mit KI alles ermöglicht wird. Ich wage jedoch die Prognose, dass alles Handwerkliche und Haptische durch diese Entwicklung gestärkt wird. Handwerkliche Tätigkeiten werden zunehmend wieder geschätzt und auch in der Fotografie entdecken Menschen die Chance, ihrem Wohnumfeld durch ihre Bilder einen individuellen Charakter zu verleihen. Erfreulicherweise stellen auch immer mehr Fotografen fest, dass die Daten auf ihren Festplatten letztlich tote Bits und Bytes sind und erst wenn die mentale Herausforderung gemeistert ist, diesen Zustand zu verändern und aus den elektronischen Daten etwas zu machen, kommt wirkliche Zufriedenheit auf. Erst wenn wir unsere großartigen Fotos gerahmt präsentieren, wird die wirkliche Befriedigung, die Fotografie letztlich grundsätzlich vermittelt, bei uns aufkommen und uns erfüllen.
Danke für das Gespräch
*Über Frame Averaging und die Effekte der Langzeitbelichtungen berichtete FineArtPrinter in der Ausgabe 2/2023. Zum ePaper von FineArtPrinter